Der wachsende Verkehrsmarkt, steigende Kundenerwartungen und der technologische Wandel zwingen die Eisenbahnen dazu, sich neu zu erfinden und sich den Herausforderungen durch die Digitalisierung zu stellen. Wie eine vollständig digitalisierte Leit- und Sicherungstechnik realisiert werden und die Zukunft des Bahnbetriebs aussehen könnte, diskutierten Experten im Juni auf zwei Tagungen der TU Darmstadt: dem Scientific Railway Signalling Symposium und dem Eisenbahntechnischen Kolloquium. Die Tagungen stellen die zentrale Rolle der Leit- und Sicherungstechnik (LST) bei der Weiterentwicklung des Systems Bahn in den Vordergrund der Diskussion.

Scientific Railway Signalling Symposium
Unter dem Motto „Vision für die Zukunft des Eisenbahnbetriebs“ informierten im ersten Teil der Tagung Martin Messerli von Smartrail 4.0 (Programm der Schweizer Bahnbranche) und Max Schubert von der DB Netz AG über den aktuellen Stand der Innovationsprojekte in ihren Unternehmen.
Messerli berichtet, dass im Rahmen des Smartrail-Projektes unter anderem die Fahrplanung und die Betriebssteuerung der Schweizer Bahnen automatisiert werden sollen. Auch eine lückenlose Sicherheitstechnik und die automatisierte Steuerung von Zügen mit und ohne Lokführer ist vorgesehen. Ebenso wurden betriebswirtschaftliche Aspekte besprochen: Allein die Schweizer Bundesbahn, der größte und federführendste Partner des Branchenzusammenschlusses, verspreche sich ab 2023 Einsparungen in Höhe von 40 Millionen Schweizer Franken durch das Projekt.

Max Schubert von der DB Netz AG stellte die Digitalisierungsprojekte seines Unternehmens vor und wählte als Beispiel Fiber Optic Sensing (FOS). Dafür werden über die Glasfaserkabel an der Bahnstrecke Lichtimpulse ausgesendet, die per „akustischem Fingerabdruck“ etwaige Schäden am Fahrweg bis auf wenige Meter exakt detektieren können. Weitere Anwendungsmöglichkeiten seien die Lärmmessung und Zustandsanalyse von Fahrzeugen. Mit dem Ziel, ein intelligentes Sensor-System aufzubauen, teste die DB Netz FOS seit 2016.

Trotz der zahlreichen Digitalisierungsprojekte bei der DB Netz AG räumte Max Schubert, der Leiter Systemarchitektur, ein, dass die Deutsche Bahn hinsichtlich der Digitalisierung ihrer LST noch nicht so weit sei wie der Vorreiter Schweiz. „Wir arbeiten daran, unter anderem auch im Rahmen einer Innovationsallianz zusammen mit der SBB“, sagt Schubert.

Weitere Vorträge und Diskussionen auf dem Symposium thematisierten außerdem die Bereiche Ortung und Lokalisierung, Sensorik und Digitalisierung, Safety und IT-Security sowie ETCS. Besondere Aufmerksamkeit kam dem Vortrag Kim Jungs von LocLab Consulting zuteil. Er präsentierte 3D-Modelle von Schieneninfrastrukturen, Bahnhofsgebäuden, Gleisen und Weichen, die die Deutsche Bahn zur Aus- und Weiterbildung, aber auch im Facility Management und in der politischen Kommunikation einsetzen wird.

Eisenbahntechnisches Kolloquium
Einen Tag nach dem Scientific Railway Signalling Symposium fand unter dem Motto „Störfallmanagement“ das Eisenbahntechnische Kolloquium an der TU Darmstadt statt. Angesichts der zunehmenden Automatisierung des Bahnsystems rücken die Abweichungen vom Regelbetrieb verstärkt in den Fokus.
Oliver Terhaag, Produktionsvorstand der DB Regio AG, berichtete, dass es im vergangenen Jahr bis auf einen Vorfall keine bislang unbekannte Störung gegeben habe. Insofern seien Störungen vielleicht unplanbar, aber nicht wirklich neu. Für den Umgang mit Großstörungen, z. B. bei Unwettern, hat die Deutsche Bahn inzwischen ein Instrumentarium entwickelt: Zur Vorhersage von kritischen Situationen nutzt der Konzern Klimamodelle, Helikopter fliegen die Strecken zur Kontrolle ab und auch die Kundenkommunikation wurde umgestellt, um den Fahrgästen klare Empfehlungen für ihre Weiterreise geben zu können. Schwieriger sei es hingegen, die vermeintlich kleinen Störungen in den Griff zu bekommen. Notarzteinsätze oder die Meldung von Personen im Gleis würden Störungen mit einer Dauer von drei bis neun Stunden verursachen, bevor das System sich wieder erholt habe. Darüber hätten die Mitarbeiter keine Handhabe und keine Mittel, zumal die zentralen Störfallprogramme nicht immer zu den konkreten Einzelfällen passen. Einen Lösungsansatz sieht die Deutsche Bahn in der Dynamisierung der Störfallprogramme zum Beispiel bei IT-gestützten Entscheidungsgrundlagen. Diese sollen dann Disponenten und Fahrpersonal mit nachvollziehbaren Informationen versorgen. Auch die Einplanung personeller Ressourcen extra für die Kundenkommunikation sei bemerkenswert. Außerdem sei es wichtig, aus betrieblichen Informationen in Echtzeit Informationen für Reisende zu generieren, sagte Achim Wolters, Leiter Betriebsmanagement bei der DB Netz AG im letzten Vortrag des Tages.

Hinweis zu „Innovations for Rail – Darmstädter Symposien zum Bahnverkehr“
Die TU Darmstadt hat ihr Portfolio an Symposien im Rahmen ihrer Innovationsallianz mit der Deutschen Bahn erweitert und unter dem Titel „Innovations for Rail – Darmstädter Symposien zum Bahnverkehr“ zusammengefasst. Dabei handelt es sich neben dem Scientific Signalling Symposium und dem Eisenbahntechnischen Kolloquium noch um das CYSIS-Symposium (Cybersecurity für sicherheitskritische Infrastrukturen) und das internationale Symposium on Rail Transport Management. Weitere Informationen finden Sie hier.

Quelle: Fachinformation Bahn Fachverlag, erschienen in „Deine Bahn.“, 46. Jahrgang, August 2018, S. 52-56
Weitere interessante Beiträge aus der Fachzeitschrift Deine Bahn finden Sie auch online unter www.system-bahn.net.

Bild: Deutsche Bahn AG / Kai Michael Neuhold